Mein Geschäft ruht ganz
auf meinen Schultern. Zwei Fräulein mit Schreibmaschinen
und Geschäftsbüchern im Vorzimmer, mein Zimmer mit
Schreibtisch, Kasse, Beratungstisch, Klubsessel und
Telephon, das ist mein ganzer Arbeitsapparat. So einfach
zu überblicken, so leicht zu führen. Ich bin ganz jung
und die Geschäfte rollen vor mir her. Ich klage nicht,
ich klage nicht.
Seit Neujahr hat ein
junger Mann die kleine, leerstehende Nebenwohnung, die ich
ungeschickterweise so lange zu mieten gezögert habe,
frischweg gemietet. Auch ein Zimmer mit Vorzimmer, außerdem
aber noch eine Küche. - Zimmer und Vorzimmer hätte ich
wohl brauchen können - meine zwei Fräulein fühlten sich
schon manchmal überlastet -, aber wozu hätte mir die Küche
gedient? Dieses kleinliche Bedenken war daran schuld, daß
ich mir die Wohnung habe nehmen lassen. Nun sitzt dort
dieser junge Mann. Harras heißt er. Was er dort
eigentlich macht, weiß ich nicht. Auf der Tür steht:
›Harras, Bureau‹. Ich habe Erkundigungen eingezogen,
man hat mir mitgeteilt, es sei ein Geschäft ähnlich dem
meinigen. Vor Kreditgewährung könne man nicht geradezu
warnen, denn es handle sich doch um einen jungen,
aufstrebenden Mann, dessen Sache vielleicht Zukunft habe,
doch könne man zum Kredit nicht geradezu raten, denn
gegenwärtig sei allem Anschein nach kein Vermögen
vorhanden. Die übliche Auskunft, die man gibt, wenn man
nichts weiß.
Manchmal treffe ich
Harras auf der Treppe, er muß es immer außerordentlich
eilig haben, er huscht förmlich an mir vorüber. Genau
gesehen habe ich ihn noch gar nicht, den Büroschlüssel
hat er schon vorbereitet in der Hand. Im Augenblick hat er
die Tür geöffnet. Wie der Schwanz einer Ratte ist er
hineingeglitten und ich stehe wieder vor der Tafel
'Harras, Bureau', die ich schon viel öfter gelesen habe,
als sie es verdient.
Die elend dünnen Wände,
die den ehrlich tätigen Mann verraten den Unehrlichen
aber decken. Mein Telephon ist an der Zimmerwand
angebracht, die mich von meinem Nachbar trennt. Doch hebe
ich das bloß als besonders ironische Tatsache hervor.
Selbst wenn es an der
entgegengesetzten Wand hinge, würde man in der
Nebenwohnung alles hören. Ich habe mir abgewöhnt, den
Namen der Kunden beim Telephon zu nennen. Aber es gehört
natürlich nicht viel Schlauheit dazu, aus
charakteristischen, aber unvermeidlichen Wendungen des
Gesprächs die Namen zu erraten. - Manchmal umtanze ich,
die Hörmuschel am Ohr, von Unruhe gestachelt, auf den Fußspitzen
den Apparat und kann es doch nicht verhüten, daß
Geheimnisse preisgegeben werden.
Natürlich werden dadurch
meine geschäftlichen Entscheidungen unsicher, meine
Stimme zittrig. Was macht Harras, während ich
telephoniere? Wollte ich sehr übertreiben - aber das muß
man oft, um sich Klarheit zu verschaffen -, so könnte ich
sagen: Harras braucht kein Telephon, er benutzt meines, er
hat sein Kanapee an die Wand gerückt und horcht, ich
dagegen muß, wenn geläutet wird, zum Telephon laufen,
die Wünsche des Kunden entgegennehmen, schwerwiegende
Entschlüsse fassen, großangelegte Überredungen ausführen
- vor allem aber während des Ganzen unwillkürlich durch
die Zimmerwand Harras Bericht erstatten.
Vielleicht wartet er gar
nicht das Ende des Gespräches ab, sondern erhebt sich
nach der Gesprächsstelle, die ihn über den Fall genügend
aufgeklärt hat, huscht nach seiner Gewohnheit durch die
Stadt und, ehe ich die Hörmuschel aufgehängt habe, ist
er vielleicht schon daran, mir entgegenzuarbeiten.
(Franz Kafka)
|